Eine Zwangspause ist eine ungewollte Rast. In dieser befinde ich mich gerade.

Seit Tagen versuche ich meinen Film aus Essaouria hochzuladen, aber diese scheinbar einfache Aufgabe will mir nicht gelingen. Dabei stelle ich mich schlau an und bin emsig an dieser Sache dran.

Ich besuchte gestern ein weiteres Mal den TV Sender, da ich davon ausgehe, die Filmemacher dort werden über einen guten Upload verfügen. Wie sollten die sonst ihre Beiträge in die Welt schicken? Ich würde ihnen im Gegenzug ein Interview mit einem berühmten deutschen Buchautor, Reiseblogger und YouTube-Star anbieten. Oder einfach nur die Brieftasche des Kameramanns auffüllen.

Leider treffe ich im Sender wieder keinen an, obwohl mir der Sekretär einen Tag zuvor versichert hat, dass um diese Zeit jemand arbeiten müsste. Er meint, nun schlafen die Fernsehleute, aber in zwei Stunden seien alle wieder da. Oder Morgen. Ich stecke die zwanzig Dirham, die ich dem hilfsbereiten Menschen geben wollte, wieder unbemerkt zurück in meine Tasche.

Auf der Hauptstraße, auf dem Weg zum Appartement zurück, entdecke ich einen großen Telekommunikationsladen in Magentafarben und erwäge mich mit mobilem Hotspot einzudecken. So machen das die Profis ja auch. Der Händler schlägt mir eine kleine Box mit 10 GB für 50 Euro vor oder 20 GB für 65 Euro. Na also, es geht doch.

Ich habe meine Kreditkarte nicht dabei, verspreche gleich wiederzukommen und spaziere die etwa drei Kilometer durch Agadirs Straßen zurück zu meiner Homebase. Ein Taxi würde mich die Strecke für umgerechnet 70 Cent fahren, aber ich bin bei unwichtigen Dingen geizig und genieße meine Mission zu Fuß. Im Appartement schnappe ich mir die Karte, vergesse aber meinen Passport, was ich diesmal schwitzend und kurz vor dem IT-Geschäft feststelle. Wieder zurück und dann erneut auf die Hauptstraße? Damit ich 65 Euro ausgebe, für ein Datenvolumen, von dem ich nicht einmal weiß, ob es den Export des Filmes durchhält?

Die letzten Wochen habe ich gelegentlich das Gefühl gehabt, dass ich und meine Wege gelenkt werden. Wie schrieb Noah Harari in Homo Deus?:

Wissen = Erfahrung plus Sensibilität.

Ich fühle mich sensibel und an Erfahrung fehlt es mir auch nicht. Also, warum lässt mich das Schicksal dreimal umsonst die Strecke zwischen Wohnung und Mobiler Lösung für mein Upload Problem laufen?

Ich überdenke mein Vorhaben noch einmal und komme zu dem Schluss, dass es eine bessere Lösung in meiner jetzigen Situation geben muss. Gott mag, laut Nietzsche, tot sein, aber lügen tut er nicht.

Mir fällt auf dem Tamirplatz ein Hotel ins Auge, neben dem ich in einem Restaurant gegessen habe und über das der Kellner meinte, sie hätten ihr Wifi für die Gäste von diesem Hotel. Der sympathische Rezeptionist des Sindbad, will 75 Euro für drei Nächte und ich freue mich, dass ich so schlau war, um auf mein Gefühl zu hören. Drei Tage Wifi mit Bett und Swimmingpool, für fast das gleiche Geld wie 20 GB?

Leider bin ich nicht schlau genug, denn ich vergesse im Zimmer das WLAN zu prüfen, bevor ich einchecke und natürlich erlebe ich eine weitere Odyssee der Unfähigkeit meinen Film hochzuladen. Das Internet ist eine Katastrophe. Selbst für Emails und Facebook sitze ich an der Rezeption und der Versuch, über Nacht mein IPad an der Rezeption zu belassen, damit dieses den Clip auf YouTube hochlädt, endet kläglich und erfolglos am schlechten Internet.

Damit mir nicht langweilig wird, habe ich eine weitere Baustelle aufgetan. Als zusätzliche Challenge meiner Reise, bin ich mit einer Kreditkarte ohne PIN unterwegs, so habe ich festgestellt. Diese, sich per SMS senden zu lassen ist ganz einfach, aber da ich kurz vor meiner Abreise noch die Telefonnummer geändert habe, dies, ohne meine Kreditkartenfirma zu informieren, scheidet diese Einfachheit bei mir nun aus. Der Emailverkehr mit dem Kundendienst läuft solange gut, bis ich mich mit Foto von Karte, Ausweis und Prepaidvertrag identifiziert habe, seitdem schweigen meine Ansprechpartner. Wahrscheinlich wird nun mein Konto geplündert, weil ein Azubi ins Wochenende will.

Es bleibt spannend. Zum Glück ist mein Gürtel noch gefüllt, aber die Devisen würde ich ungern wechseln, sie sind wahrscheinlich die einzige mögliche Währung an den Grenzen.

Agadir ist wieder bewölkt, nachdem sich gestern am Nachmittag die Sonne gezeigt hat und ich die Möwen sehen konnte, die ich sonst nur über mir höre. Es ist 13:12 Uhr Ortszeit und ich sitze in meinem Bett im Hotelzimmer, während ich diese Zeilen schreibe. Das IPad liegt nebenan und schweigt. Kein Banker in der Heimat, der sich meinem Problem abschließend annimmt.

Mein zweiter Eindruck über diese Stadt ist ein Besserer. Groß mag Agadir sein, doch ist es leiser, wie ich darüber berichtet habe. Die Personen in meinem „Corner“ sind unaufgeregt und meist freundlich. Es gibt sehr viele Menschen, die rumwuseln, wobei viele einfach nur in den Restaurants sitzen, wovon es ebenfalls sehr viele gibt. Am Boden gibt es Alte und Kranke, die betteln aber nicht aufdringlich sind und es gibt jene, die auf zwei Beinen um Almosen bitten und die dafür gerne auch mal unangenehm auf Begleitung bestehen. Den Ersteren gebe ich hin und wieder etwas, um mein Karma aufzupeppen und weil ich Mitleid habe. Den anderen erteile ich schroff eine Abfuhr.

Das Leben in Marokko ist günstig. Ich bekomme eine schmackhafte traditionelle Suppe für umgerechnet 50 Cent und ein Hähnchen mit Pommes, Tomate und Zwiebeln, für 2,80 Euro. Von den Deutschen, die ich kennengelernt habe, weiß ich, dass sie etwa 200 Euro bis 400 Euro für eine tolle Wohnung im Monat bezahlen. Etwas überrascht, hat mich der Preis für die Reinigung meiner Wäsche. Die drei Tüten, welche ich der Wäscherei in Obhut gab, haben mich 22 Euro gekostet. Viel mehr, als der Durchschnittstageslohn eines Marokkaners. Ich habe zuvor zwei andere Reinigungen empört verlassen, weil sie ebenso astronomische Preise verlangten. Wahrscheinlich bin ich einem hiesigen Wäschekartell ins Netz gegangen.

Könnte ich mir in Agadir vorstellen, ständig zu wohnen? Wohl eher nicht.

Dies liegt an der Kultur und an dem Alltagsleben, welches mit dem meinen (noch) nicht kompatibel ist.

Ich genieße gerne ein Weizenbier in einem Straßencafé oder einem Biergarten und ich tue dies gerne in Gesellschaft. Meist folgt ein zweites und ein drittes. Dies ist hier nicht möglich. Menschen, die in der Öffentlichkeit und unter freiem Himmel Alkohol trinken, gibt es nicht, außer manchmal in den geschlossenen Anlagen der Hotels. Mein Bier, was auch kein Weizen ist, erhalte ich zu europäischen Preisen im Carrefour, bekomme dieses in undurchsichtige Tüten verpackt und trinke es in meinen eigenen vier Wänden, unter Ausschluss der Öffentlichkeit. In Marokko muss man kein Alkoholiker sein, um heimlich zu trinken.

Als Europäer falle ich auf, was ich auch von anderen Ländern kenne. In diesem Land habe ich aber zusätzlich noch das Gefühl, dass die Menschen auf mich, den Ungläubigen, herabblicken. So hat es auch Helmut, eine deutsche Bekanntschaft hier in Agadir ausgedrückt. Es ist nicht wirklich schlimm oder unangenehm, dafür sind die Menschen zu nett. Aber es fehlt dadurch die Möglichkeit zur Vertrautheit mit diesem Umfeld und mein Wunsch dazu.

Aus dem Tonband ruft der Muezzin über den Platz und ich genieße den mittlerweile vertrauten Klang. Die Anwesenheit der Fremde kriecht in meine deutsche Krämerseele. Ich bin auf Reisen in einem fernen Land und das Schicksal hält mich in Agadir fest. Vielleicht brauche ich diese Zwangspause zum runterkommen, mich besinnen oder was weiß ich?

Gerne würde ich nach Tansania hetzen, Busse verschleißen, Kamele durchreiten oder auf noch schnelleren Wegen über Land, mein Ziel erreichen. Nichts dergleichen. Hier ist erst mal Boxenstopp.

Bisher war ich schnell unterwegs gewesen und habe innerhalb der ersten Woche über 3000 Kilometer zurückgelegt. Selbst meine Tage, hier in Agadir, waren anfänglich gefüllt mit Erlebnissen und neuen Dingen, welche meine Aufmerksamkeit und meine Gedanken bestimmten. Ich habe selten an meine Lieben zuhause gedacht. Diese Bilder hole ich nun nach. Vielleicht werde ich deshalb zu einer Pause, einer Besinnung gezwungen. Es würde Sinn machen.

Auf dem Bett neben mir liegt Happy, das Maskottchen vom Feldberger Hof, welches ich versprochen habe, mit auf meine Reise zu nehmen. Meine Kinder lieben Happy. Manchmal spreche ich mit ihm und da die Puppe nicht antwortet, führe ich verdächtige Selbstgespräche. In den letzten Tagen hat diese einseitige Kommunikation zugenommen.

Ich muss an Patrick denken und lache laut. Der Koch aus dem CouCou spricht leidenschaftlich und oft mit sich selbst. Weil er sich dessen bewusst ist, trägt er gelegentlich ein T-Shirt auf dem steht:

„Natürlich rede ich mit mir selbst. Ich brauche manchmal kompetente Ansprechpartner“

Oder so ähnlich.

Liebe Grüße an Euch meine Lieben … und an alle da draußen. Ich schließe gerne mit Michaels Worten: „I love you all.“

Bis bald … sicherlich aus Agadir.