Die Umkehr meines Menschenweges beginnt nach 7.500 Kilometer, in Conakry, Guinea.

Meine Bemühungen um weitere Sponsoren und Multiplikatoren, welche meine Reichweite erhöhen, sind erfolglos geblieben. Mir geht die Luft aus und eine Weiterreise durch die Elfenbeinküste, Ghana, Togo, Benin, Nigeria, Kamerun, den Kongo bis nach Oldupai in Tansania ist nicht mehr durchführbar.

Ich stelle mich dieser Tatsache, ohne mich arg zu grämen. Meine Fehler habe ich vor der Reise gemacht und spätestens seit meinem Aufenthalt in Dakar, habe ich dieses Ende kommen sehen. Ein letzter Anflug von Zweckoptimismus hat mich weiterziehen lassen, für den ich sehr dankbar bin, sonst hätte ich Guinea nicht gesehen und erlebt. Aber hier in Conakry ist nun endgültig mein persönlicher Rubikon, den ich nicht zu überschreiten gedenke.

Meine Zwangspause in der Hauptstadt Guineas, wartend auf eine Visa in die Elfenbeinküste, gibt mir Gelegenheit diese Erkenntnis zu verdauen und meine Rückreise zu planen. Einem ersten Impuls folgend, würde ich gerne in das nächste Flugzeug steigen, nach Hause fliegen, dort meine Kinder umarmen und mich mit Freunden dem ersten Weizenbier zuwenden.
Dies jedoch, wäre das Eingeständnis einer Niederlage, die ich so nicht empfinde.

Ich bin meinem Ruf gefolgt und habe dieses Abenteuer angenommen. Mag man mir zurecht den Status eines guten Planungsoffiziers absprechen, meine Fähigkeiten im Felde habe ich hingegen auf dieser Reise bewiesen. Sei es wie es will, hier in Conakry erkläre ich meine Mission für beendet und beginne meinen geordneten Rückzug zu planen.

Ich teile meine Entscheidung Phoebe mit, die darüber nicht glücklich ist. Gerne wäre sie mit mir in die Elfenbeinküste gereist, denn auch ich gab ihr Schutz und Sicherheit in diesen Tagen. Sie erklärt sich bereit, für mich die Rückfahrt nach Dakar zu organisieren, dann zieht sie los und ich bleibe allein im Hotel zurück, mit der Absicht mich am letzten Abend ordentlich zu betrinken. Dieses Vorhaben gelingt mir.

Der folgende Tag beginnt hektisch. Das Taxi, welches mich nach Dakar bringen wird, fährt gegen 09:00 Uhr Ortszeit los und ich habe noch nicht meine Sachen gepackt. Ich dusche, richte den Koffer und mein Handgepäck für die Reise, trinke mit Pheobe hastig einen Kaffee, bevor wir auf die Straße treten und zwei Motorradtaxis anhalten. Tatsächlich gelingt es meinem Fahrer, meinen großen Koffer und mich durch den morgendlichen Stau zu steuern und zu der Sammelstelle zu fahren, an der sich Reisewillige nach möglichen Fahrgelegenheiten umschauen.

In einem Hinterhof, der überfüllt ist mit Autos und Menschen, erstehe ich mein Ticket für die Rückreise in den Senegal. Das Fahrzeug, welches ich besteige, ist ein schrottreifer Renault, indem weitere sechs Menschen gezwängt werden. Pheobe hat mir den Platz hinter dem Fahrer besorgt, was nur eine kleine Erleichterung ist. Neben mir sitzen zwei Frauen, mit einem Kleinkind auf dem Schoß und ein junger Afrikaner, der zum studieren nach Ziniguichor will. Den Beifahrersitz hat sich ein älterer Muselmann ergattert, den er zumindest die Hälfte der Strecke allein genießen kann. Später wird er diesen mit einem weiteren Fahrgast, den wir unterwegs auflesen, teilen müssen.

In Gedanken gehe ich die Strecke durch, denn meine Hinreise war ein 44 stündiger Horrortrip in einem wesentlich komfortableren Gefährt. Nun soll ich diese Fahrt ein zweites Mal unternehmen, mir graut davor, noch ehe wir losfahren.

Um es vorweg zu nehmen, es wird eine noch üblere Reise.

Schon in den Straßen Conakrys schmerzt meine Hüfte und ein Knochen an der linken Seite. Wir fahren durch einen dichten Stau und bei der ersten Polizeikontrolle, stelle ich fest, dass die Bremsen des Renault nicht verkehrstauglich sind. Der Fahrer bremst auffallend oft mit der Handbremse und fährt dennoch auf das vor ihm stehende Fahrzeug auf. Geldscheine wechseln den Besitzer und wir holpern weiter durch den morgendlichen Verkehr. Irgendwann sind wir aus der Hauptstadt draußen und fahren zügig durch die Landschaft Guineas, deren Schönheit ich erneut bewundere.

Mir fallen die Worte eines Freundes ein, der an meinem Online-Tagebuch bemängelte, dass ich zu wenig über Land, Leute und Wirtschaft schreiben würde, was ja ursprünglich auch mein Vorhaben war. Meist würde ich über Reisestrapazen berichten.
Dies ist richtig, denn Land, Leute und Wirtschaft hasten meist an mir vorbei. Meine längeren Aufenthalte an Stationen, sind der Geld und Visabeschaffung geschuldet, ansonsten bin ich unterwegs.

Hier komme ich zu einer weiteren Erkenntnis, dass ich folgende Reisen, bei denen ich Filmen und über die ich berichten möchte, nur noch mit Chauffeur oder als Selbstfahrer unternehmen werde.
Auch auf dieser Fahrt sehe ich Dinge, die man filmen und näher beleuchten müsste. Doch es gibt für mich keine Möglichkeit, dies zu tun. Falls das Auto einmal hält, zu einer Rast oder zum Austreten, stehen wir an mir bekannten Bretterbuden oder in einer wenig spektakulären Landschaft.
An den wunderschönen Flüssen, in denen Kinder und Frauen sich und die Wäsche waschen, rasen wir ebenso vorbei, wie an Besonderheiten der Flora und Fauna, die ich gerne näher betrachtet hätte. Bretterbuden, in denen Handwerk verübt wird oder das Alltagsleben stattfindet, kommen in mein Blickfeld, um schnell daraus wieder zu verschwinden. Ich bin unterwegs und das Schöne und Interessante bleibt oberflächlich und in meinen Berichten verwehrt.

Irgendwann ist die Teerstraße zu Ende und wir holpern wieder über die rotbraune Schlamm und Sandroute, die sich als Transitstrecke über 500 Kilometer langzieht und die ich auf der Hinreise schon schmerzhaft kennenlernte. Auch jetzt schlage ich mir Knie, Kopf und Hüfte in jedem Schlagloch an eine Stelle in unserem Auto. Mit meiner Sitznachbarin streite ich um den wenigen Platz, den unsere Füße haben und ihr fülliger Leib lastet bei jedem Ausweichmanöver des Fahrers schwer auf meinem Körper.
Ich bin schweigsam und gehe meinen Gedanken nach. Hin und wieder gelingt es mir zu dösen.

Als es Dunkel wird halten wir in einer Ortschaft und ich denke, dass diese Rast dazu genutzt wird, um Abend zu essen und dann weiter zu fahren. Der Fahrer erzählt mir, dass die weitere Strecke in der Nacht gefährlich ist und da ich ihn nur schwer verstehe, er das Wort Syndikat mehrmals wiederholt, nehme ich mir aus dem Handgepäck das Pfefferspray und stecke es mir griffbereit in die Hose.
Ich betrachte meine Mitreisenden, die Reis essen oder auf einer Matte vor den Baracken beten, trinke eine kühle Cola dazu und warte auf die Weiterfahrt. Irgendwann sind der Fahrer, der Muselmann und die Mutter mit dem Kleinkind verschwunden und der Student, sowie die füllige Afrikanerin setzen sich zum Schlafen in das Auto. Sie erklären mir, dass die Fahrt frühestens morgen um fünf Uhr weitergeht. Ich schaue auf die Zeitanzeige meines Handys, es ist 21:12 Uhr.

Das darf doch nicht wahr sein, denke ich. Warum konnten wir auf der Hinfahrt durchfahren? Was ist das für ein Chauffeur, der mir nicht erklärt, wo ich die Nacht verbringen kann?

Einige Frauen und Kinder sitzen noch vor den Bretterbuden, an denen sie Essen und Getränke für die Durchreisenden bereithalten. Moskitos fliegen durch die Dunkelheit und stechen mich zu genüge. Ich schlendere durch die Siedlung und frage nach einem Hotel oder einem Schlafplatz. Ein Fremdenzimmer gibt es nicht, aber man bietet mir einen Raum an, in dem sonst Waren gelagert werden. Ich bräuchte nur eine Matte. Ich lehne ab und setze mich zu den zwei Frauen bei den Baracken, die übrig geblieben sind. Alle anderen Menschen haben sich in den Bretterbuden zum Schlafen gelegt. Es kommen zwei Lastwagen, die am Straßenrand halten und den Schutz der Siedlung in Anspruch nehmen und kurz danach kommt ein Minibus, vollgestopft mit Fahrgästen und dem gleichen Begehr. Männer und Frauen steigen aus und legen sich augenblicklich zum Schlafen auf die Tische und Bänke vor den Holzhütten. Ich suche mir ebenfalls einen Tisch, lege mich drauf und schlafe irgendwann ein.

Ich friere, spüre unzählige Mückenstiche und wache mehrmals in dieser Nacht auf. Noch vor der Dämmerung bemerke ich eine Frau, die eine Feuerstelle anzündet, um mich herum den Plastikmüll aufsammelt und diesen in das Feuer wirft. Auch andere Menschen werden wach, steigen in die Lastwagen und ihre Autos und fahren los. Pitt unser Fahrer kommt ebenfalls vor dem ersten Sonnenstrahl ans Auto und lässt uns keine Zeit mehr für einen Kaffee. Wir fahren weiter.
Jetzt ist es mein Leib, der sich an den Körper der fülligen Matrone lehnt. Gewärmt durch diesen und die ersten Sonnenstrahlen durch das offene Fenster schlafe ich ein.

Ich mache es kurz, denn die Reise ist eine lange. Wir kommen irgendwann auf die Teerstraße und der Fahrer sieht nun selbst ein, dass er für eine schnellere Fahrt bessere Bremsen braucht. Wir halten in einem Dorf, wo ich interessiert beobachte, wie Handwerker verschiedene Autos reparieren. Im Sand, unter brütender Sonne. Sie brauchen eine Stunde, ehe wir mit neuen Bremsen unsere Reise fortsetzen.

Wir nähern uns der Grenze zum Senegal und haben einen ersten Halt an einer Polizeikontrolle, die ich noch von der Hinreise kenne. Ein Innenhof, zwei Häuser und eine Baracke, davor vier Polizisten und zwei Frauen in Uniform, die mit unserem Fahrer diskutieren. Ich merke, dass etwas schiefläuft, denn meine Mitreisenden stöhnen laut auf. Man will unser Gepäck kontrollieren, dies würde mindestens zwei Stunden dauern und obendrein verlangten die Polizisten ein üppiges Bestechungsgeld. Ich bin müde und bleibe gelassen, beobachte die Szenerie durch das offene Fenster. Es wird gestikuliert und diskutiert. Eine der Polizistinnen sieht mich und ich frage sie, ob denn alles in Ordnung sei. Sie schüttelt verneinend den Kopf. In holprigen Französisch erzähle ich ihr, dass ich vor zehn Tagen schon einmal hier gewesen bin und dass ich einem Jungen im Rollstuhl einen rosaroten Luftballon geschenkt habe. Sie blickt mich tief an und fragt nach, ob ich das gewesen sei. Ich nicke, erkundige mich nach dem Jungen, wie es ihm gehe und ob der Luftballon noch ganz ist. Nun lächelt sie, will wissen woher ich komme und als ich ihr sage, dass ich Deutscher bin, meint sie, dass die Deutschen gerne Bier trinken. Sie würde auch gerne Bier trinken. Während unser Fahrer noch mit den anderen Polizisten streitet, habe ich mit der Mutter des Jungen einen Deal geschlossen.

Ich habe sie verstanden und tue das, was ich immer schon einmal in meinem Leben machen wollte.
Ich krame nach meinem Ausweis, stecke einen großen Geldschein zwischen die Seiten und reiche ihn anschließend durch das Fenster meiner Ansprechpartnerin. Sie lächelt, lässt das Geld in ihre Taschen verschwinden, deutet einen Kuss auf meinem Pass an und reicht mir diesen zurück. Noch im Stehen, ruft sie ihre Kollegen zurecht, die unserem verdutzten Fahrer deuten, dass er weiterfahren kann. Ich halte meinen Blick auf der Polizistin und vernehme genüsslich die Freude neben mir im Auto, das langsam den Hof verlässt. Zum Abschied winken die Polizisten uns zu und ich zurück.
Nun nennen sie mich im Auto, Patron.

Wir überqueren die Grenze in den Senegal ohne weitere Zwischenfälle und fahren weiter in Richtung Dakar. In einer Ortschaft erklärt uns unser Fahrer, dass er uns nun in ein anderes Taxi übergeben will und lässt sich trotz des Protestes der Mitreisenden nicht von seinem Plan abbringen. Mir ist es egal, denn ich habe den Verdacht, dass er übermüdet ist und mir ist ein Fahrzeugwechsel nur recht. Leider habe ich einen noch schlechteren Platz als zuvor, aber wie erwähnt, irgendwann ist jede Tortur vorbei. So auch diese.

Morgens um sechs erreichen wir Dakar, wo ich mich von einem Taxi in ein kleines Hotel bringen lasse, anschließend ausgiebig dusche und mich völlig fertig ins Bett lege.

Bis bald.