Heute ist Samstag. In Deutschland ist nun 14:32 Uhr und in einer Stunde fängt dort die Fußballbundesliga an. Ich sitze hier, hinter meinem Hotel im Freien und sammele meine Gedanken. Ich denke an meine Lieben in der Heimat, ich wäre jetzt gerne bei Ihnen. Diese Stimmung ist nicht neu für mich auf dieser Reise und ich gebe mich ihr gerne etwas hin. Ich betrachte meine Situation nüchtern und ziehe ein aktuelles Fazit über meinen Standort und meine bisherige Reise. Ich fahre heute Nacht, um 04:30 Uhr nach Addis weiter und strebe von dort das nächste Ziel; Nairobi in Kenia an. Ich habe einen neuen Haarschnitt, ein Busticket und etwas Geld in meinen Taschen. Seit sechs Tagen bin ich nicht geduscht, habe aber heute aus dem Wasser im Eimer, eine gründliche Wäsche herausgeholt. Für meine Kleidung gilt dies nicht und ich kämpfe mit den letzten sauberen Textilien um eine tragbare Kombination. Ich sehe aus wie ein Soldat, mit meiner Mütze über dem „Glatzkopf“ und ein bisschen fühle ich mich auch danach. Ich gehe kaum vor das Hotel, lediglich um Informationen, Nahrung oder nötige Eindrücke zu sammeln, bin ich für einige Stunden in der Stadt unterwegs. Ich besuche ein Internetkaffee, lese Mails und stelle den gestrigen Beitrag hoch. Dann möchte ich wieder zu der Kirche, an der ich gestern mich wohl gefühlt habe und an der ich mit der Mutter gesprochen habe. Wieder entspanne ich dort und glaube ich Energie zu spüren. Ich entschuldige mich bei ihr für mein Verhalten am Vortag und bitte um Verzeihung.

Castle in Gondar

Burg in Gonder

Danach schaue ich mir die Burg an. Der Eintritt kostet rund 2,50 Euro, auf einen Guide verzichte ich. Die Burg ist wirklich bemerkenswert und in Gonder eine Sehenswürdigkeit, wer immer sie gebaut haben mag. In einem Shop erstehe ich Wasser und einen Fruchtsaft, dann gehe ich wieder zurück an mein Hotel – meine hiesige Operationszentrale. Wenn ein Soldat in einer Mission steht, dann verhält er sich an Zwischenstationen ruhig und sammelt Kraft. Dies tue ich nun auch.

Ein weiteres Fazit meiner Reise bemühe ich auch, was meinen bisherigen spirituellen Weg betrifft. Hier bin ich sehr gespalten in meinen Gefühlen. Einerseits habe ich das Ziel vor Augen und nicht mehr weit bis dahin und ich fühle mich unter den Menschen bisher sicher und freundlich aufgehoben. Andererseits umtreibt mich die Sorge, dass ich mich auf dieses Ziel nicht genügend vorbereite und meine Nebenmissionen wie betterplace und couchsurfing sind gänzlich in den Hintergrund getreten. Ich habe damit kein Problem, denn diese Projekte kann ich nachholen, aber ich fühle mich allgemein zu sehr abgelenkt.

Das Reisen erfordert meine Aufmerksamkeit und beschert mir Erlebnisse. Mache ich aber genügend vor Ort daraus? Von den vielen Fehlern die ich an mir habe, bin ich auf einen besonders stolz. Ich mische mich gerne ein. Doch bisher habe ich nur mit Worten geprahlt und keine bleibenden Geschenke an meine Gastgeber verteilt. Habe ich in mir denn selbst bisher irgendetwas Bleibendes ausgelöst? Gestern hätte ich mich zweimal einmischen können und ich tat es nicht. Ich fühle mich in diesen Tagen wie ein Soldat. Habe ich deshalb gestern keine Anteilnahme und kein Mitgefühl für die Menschen und die Situation entwickelt?

Ich sehe den Aufenthalt hier, wie so viele andere Etappen auf meiner Reise, als „gewollt“ an und kann mich in diesen verschiedenen Situationen gut arrangieren. Ich versuche ein „Botschafter“ vor Ort zu sein, wie es ein Freund sinnigerweise gerne von mir einfordert. Vielleicht ist es meine Ungeduld, die mich Gonder nicht genießen lässt und ich bin froh, wenn Morgen meine Reise weiter geht. Ich freue mich nach meiner Abreise auf eine warme und wasserreiche Dusche. Ich darf nur heute Nacht nicht verschlafen.

Hier in Äthiopien ist heute ebenfalls Samstag und die Lastwagenfahrer sind heute schon sehr früh in der Bar des Hotels. Auch die “Damen” lassen nicht lange auf sich warten. Das habe ich nicht vorbedacht. Um mich herum sind die ersten Balzgespräche und Verhandlungen am Laufen, und ich genieße für ein paar Stunden diese räudige Atmosphäre. Ich gehe noch einmal in das Internetkaffee, dann  zurück in meinem Hotel, packe ich meine Sachen und versuche anschließend einen kurzen Schlaf zu halten. Trotz Trinkgeld bin ich nicht überzeugt, dass der Weckdienst hier im Hause funktioniert. Ich hoffe auf meine innere Uhr.