Montag der 15 November 2010

Heute ist mein letzter Tag in Nairobi, so denke ich und ich habe einiges zu tun. Ich möchte die Artikel der letzten Tage in den Weblog stellen, Bilder hochladen und einige Emails schreiben. Für die Fahrt nach Tansania benötige ich noch Informationen, eventuell ein Ticket und ich brauche US Dollar, denn anscheinend kann in einer anderen Währung, an der Grenze das Visum nicht bezahlt werden. In Moyale nach Kenia war dies ebenfalls der Fall. Ich habe zwar 40 Dollar in bar, benötige jedoch davon 50 und sehe nun eine passende Gelegenheit gekommen, meinen letzten Travellerscheck einzulösen. Dies soll meine erste Aufgabe sein, bei den vielen Banken in der Innenstadt sehe ich diese Mission als schnell erledigt an. Ich verlasse mein Hotel nach einem Frühstück und steuere die erste Bank in meiner Nähe an. Es ist eine Zweigstelle der Barclays Bank, wo man diese Zahlungsmittel nicht annimmt, aber man gibt mir die Adresse der Hauptbank, samt einer Wegbeschreibung. Ich schlendere los, fühle mich wohl in den sonnigen Straßen Nairobis und erreiche in wenigen Minuten die Hauptstelle der Barclays Bank. Dort schüttelt man verneinend den Kopf, sendet mich zu einer weiteren Bank, wo man die Schecks ebenfalls nicht annimmt, mir aber die Barclays Bank empfiehlt. Ich mache es kurz, habe auch die Namen all der Banken nicht aufgeschrieben, die meine Zahlungsmittel nicht einlösen wollen. Es sind derer viele. Ich verbringe nahezu zwei Stunden mit dieser „einfachen“ Aufgabenstellung, ohne abschließend einen Erfolg verzeichnen zu können. In irgendeiner Großbank platzt mir schließlich der Kragen und ich halte dem verdutzten Menschen an der Information eine längere Rede davon, dass ich in der Hauptstadt Kenias bin, einem Land das für Afrika einen sehr hohen Standard genießt, dass Spuren von dem anglistischen Europa hier überall zu sehen sind und dies auch im Bankenwesen Spuren hinterlassen haben müsste. Dass ich immerhin in der Innenstadt, in einer der größten Banken stehe und es unmöglich scheint, für 100 Dollar eines der gängigsten Reisezahlungsmittel meiner Generation einzutauschen. Zumindest scheint er nach meinem Vortrag ein schlechtes Gewissen zu haben. Ich hebe mit meiner Visa Card Geld ab und beschließe, einen Teilbetrag später in Dollar zu wechseln, jetzt habe ich von Banken erst einmal genug.

Innenstadt Nairobi

Bankensuche in Nairobi

Ich gehe zu meinem Internetkaffee und verbringe einige Zeit mit, den mir vorgenommenen Aufgaben. Ein Blick auf die Bundesligaergebnisse des vergangenen Wochenende freut mich, Bayern und Freiburg haben gewonnen. Dann zahle ich die knapp drei Stunden Internetzugang und gehe auf die Straße zu meiner Reinigung, bei der ich über das Wochenende Wäsche gelassen habe. Anschließend möchte ich zurück zu meinem Hotel, um den Computer und die Wäsche im Zimmer abzulegen. Es ist 14:00 Uhr und ich will gleich Dollars eintauschen und mich dann mit Kimani, auf den „besten“ Salat Nairobis treffen. Ich komme wieder an dem Bettler vorbei, welchen ich als Folteropfer deute und bleibe kurz bei ihm stehen. Er sieht mich kommen und ich glaube, dass auch er mich wiedererkennt. Ich gebe ihm umgerechnet 50 Cent, sein Blick trifft mich tief, denn ich glaube Dankbarkeit ob dieser geringen Summe zu entdecken. Noch vor wenigen Stunden hat mir ein „armer“ Mann aus Simbabwe geholfen bei der Bankensuche und war anschließend über 2 Euro ungehalten, wollte für seine kleine Hilfe 10 Euro damit er Reis für seine Familie kaufen könne – wahrscheinlich eine Monatsration. Ich berühre den Mann am Boden und glaube zu spüren, wie er für diese menschliche Berührung dankbar ist. Er ist nicht nur ein gezeichneter Krüppel der betteln muss, er ist ein Ausgestoßener. Ich gehe weiter, bleibe nach einer Ecke stehen und denke nach. Soll ich ihn fotografieren? Für den Blogartikel „Bestie Mensch“ wäre das der Hammer. Ich könnte ihm ja noch mal Geld dafür geben. Nehme ich ihm damit nicht die Würde? Welchen Zweck hätte es, außer dass ich einen Voyeurismus bediene, der sich am Schrecken labt?

Nancy und ich

Nancy und ich

Ich entscheide mich gegen ein Bild von ihm und gehe zurück zu meinem Hotel. Ich verstaue mein Zeug, dann gehe ich in einem großen Bogen um meinen Bettler vorbei, suche nun einige Banken auf, die mir das heimische Geld in Dollar wechseln. Hier stehen meine Chancen nicht schlecht, aber selbst diese Mission breche ich erfolglos ab, denn in jeder Bank stehen unzählige Menschen in der Schlange und ich bin heute ein besonders ungeduldiger Mensch. Ich gehe zu dem Hochhaus, indem Kimani seine Computerschule hat, treffe ihn nicht an, werde aber von Nancy, seiner Frau abgeholt. Sie hat schon mit mir gerechnet und wir gehen auf die Straße, wechseln in einer Geldstube meine Dollar, dort erfahre ich, dass man auch Travellerschecks tauschen würde, dann setzen wir uns in ein Café und ich trinke einen wunderbaren Cappuccino, habe eine angenehme Zeit mit ihr. Ich erzähle ihr, dass ich morgen abreise, aber wiederkomme und wir verabreden uns für die Wiederkehr auf ein gemeinsames Essen in Nairobi. Auch möchte sie bis dahin die Möglichkeiten abklären, die es in Nairobi für „Last Minute Flüge“ gibt. Wir gehen noch etwas in die Richtung meines Hotels, sie gibt mir noch einige Tipps für die morgige Busreise, dann verabschieden wir uns und ich ziehe „heimwärts“. Wieder gehe ich in einem großen Bogen an „meinem“ Bettler vorbei, dann erreiche ich mein Hotel und falle nachdenklich auf mein Bett. Es ist 17:30 Uhr lokaler Zeit.

Meine Gedanken projizieren Bilder des heutigen Tages, bleiben bei meiner Begegnung mit dem Unglücklichen auf der Straße hängen. Sein Lächeln mit dem Speichelfluss. Seinen Anblick, den ich seit Tagen in mir aufnehme. Meine Berührung mit ihm, die ihm scheinbar gutgetan hat. Er ist ein Mensch, bei dem ich vor wenigen Tagen noch ernsthaft überlegt habe, ob ein Ende für ihn nicht die größte Gnade wäre? Aber er ist ein Mensch der lebt. So einfach macht es uns Gott nicht. Dieser Mensch lebt und mit Sicherheit träumt er in seinem Schlaf von einem besseren Leben, während seine Umwelt es wahrscheinlich lieber sehe, er würde einfach sterben, würde damit unser schlechtes Gewissen erleichtern. Ich denke nach und fasse neue Pläne. Immer noch möchte ich morgen weiterziehen, aber die Weiterreise bekommt eine neue Priorität, eine weniger Dringliche. Was bedeutet ein Tag auf meiner Reise, wenn es um ein Menschenleben geht? Ich denke daran, dass ich nicht jedem Bettler helfen kann, aber Jesus hat auch nicht jeden Toten seiner Tage zum Leben erweckt. Er hat Lazarus gerettet und ich gebe meinem Bettler in Gedanken den Namen Lazarus. Ich kann keine Toten zum Leben erwecken, aber ich kann einem Menschen helfen,  ihm vielleicht Hoffnung und Würde geben. Wie stelle ich es an? Noch sind meine Pläne unausgegoren, aber ich werde mit Lazarus reden müssen und ich werde ihn fotografieren. Vielleicht habe ich mein erstes Betterplaceprojekt gefunden. Ich fühle mich beschwingt wie seit Tagen nicht mehr.

Gott Hilf mir – Hilf Lazarus ein Leben zu geben.