Von Agadir nach Ad-Dahkla in der Westsahara sind es, laut Google Maps, 1072 Kilometer und die Strecke anscheinend, mit dem Auto, in 14,5 Stunden erreichbar.

Fake News oder alternative Fakten, auf alle Fälle Grottenfalsch.

Ich erinnere mich daran, dass ich, nachdem wir mit dem Bus eine erste Rast gehalten hatten, ich auf einem Straßenschild mit Schrecken las: Ad-Dahkla noch 1654 Kilometer. Dies war nach drei Stunden auf Marokkos Straßen in den Süden.

Ich sollte in diesem Bus insgesamt 21 Stunden sitzen, bevor ich mit einem weiteren Bus, noch einmal über 5 Stunden zur Grenze nach Mauretanien fuhr.

21 Stunden, die mir bewiesen, dass sich mein Körper, nach wie vor, auf „Missionen“ einstellen kann und die mich daran erinnerten, dass ich in Europa in einem Wolkenkuckucksheim lebe, welches in einer anderen Welt existiert und dass mit den Gepflogenheiten, in diesem Falle mit denen Nordafrikas, nicht viele Gemeinsamkeiten aufweist.
Aber fangen wir von vorne an.

Ich wache an diesem Tag noch vor dem Wecker auf, den ich auf sieben Uhr gestellt habe. Meine innere Uhr weiß um die Bedeutung dieses Tages. Es wird ein langer Reisetag werden.
Ich frühstücke nur spärlich, denn ich möchte Begegnungen mit den hiesigen Toiletten unterwegs vermeiden. Dies würde ich, bei so einer Strecke auch in anderen Ländern beabsichtigen. Eine Busladung Menschen, die gleichzeitig auf einer Transitroute über die Sanitärräume herfällt, schreckt mich überall ab. Und in Nordafrika besonders, denn die Toiletten sind hier oft ein Loch im Boden und statt Toilettenpapier tröpfelt Wasser in einen Eimer, mit dem gleichen Zweck und Ziel. Ich werde auf dieser Reise drei Cola, zwei Espresso mit Zucker und einen Keks von einem Jungen, der zeitweise mein Sitznachbar ist, zu mir nehmen und natürlich sehr viel Wasser.

Pünktlich um 10:15 Uhr fährt der Bus, der Linie Supr@tours los. Sie wurde mir mehrfach empfohlen und ich kann diese Empfehlung bestens weitergeben, denn die Busse sind bequem, das Personal und Prozedere professionell, lediglich der Umstand, dass der Fahrer auf diesen 2000 Kilometer nicht wechselt, verstößt gegen Deutsche Sicherheitsbedenken. Erstaunlicherweise, bei dieser langen Strecke, sind wir auch exakt um 06:30 Uhr am Zielbahnhof, so wie es auf meinem Ticket steht. Doch soweit sind wir noch nicht.

Im Bus habe ich die ersten Stunden einen Platz für mich allein und ich genieße die Fahrt mit Blick auf die Steinwüste, Berge, Dörfer, Städte und dem Leben dort draußen. Das Bordpersonal ist aufmerksam und der Ticketkontrolleur zieht mich in einer Stadt, die wir bald erreichen und wo Menschen ein und aussteigen, in einem Kopierladen und lässt dort zehn Kopien meines Passes machen. Ich soll sie in der Westsahara und auch später in Mauretanien tatsächlich fast alle benötigen.

Zurück im Bus, der nun fast voll ist, sitzt nun ein etwa zehnjähriger marokkanischer Junge neben mir, an dem ich Gefallen finde. Wir blödeln etwas, doch unsere Sprachbarriere ist zu groß, dass wir uns irgendwann freundschaftlich anschweigen. Ich friere mittlerweile, weil die Klimaanlage meine kurzen Shorts ignoriert und ich bin froh um ein langärmliges Sweatshirt, welches ich vorausschauend ins Handgepäck genommen habe. Ich döse hin und wieder vor mich hin, schaue mir die Landschaft an oder unterhalte mich radebrechend mit dem Kleinen, dessen Schalk im Gesicht mir gelegentlich einen Stich versetzt, denn er erinnert mich an meine Kinder zuhause. Der Bus macht zweimal eine Rast, an denen wir essen, trinken und auf die Toilette können und er hält einige Male in größeren Städten, damit Mitreisende an ihrem Ziel aussteigen können und neue einsteigen.

Ich beobachte diese Menschen und freunde mich mit einigen Männern an. Eine Beobachtung indes, die ich schon in anderen muslimischen Ländern machen konnte, stößt mir zuwider auf. Es sind die Frauen.

Mit bunten Schleiern, Sandalen und hektischem, lautem Getue, so scheint es mir, versuchen sie sich gegenseitig zu übertrumpfen. Eine Mutter, mit viel Gepäck und drei erwachsenen Kindern als Begleitung, seufzt und stöhnt die ganze Fahrt, als trage sie die Last der Welt mit sich. Eine andere gestikuliert pausenlos mit ihrem Mann oder dem Buspersonal, wieder eine andere schreit in einer Lautstärke in ihr Mobiltelefon, dass ich vermute, sie möchte den Schall ohne Telefon zwingen an sein Ziel zu gelangen.

Wer glaubt, dass in Marokko das Patriachat herrscht, sollte einmal mit einem dieser Busse fahren, er wird schnell eines Besseren belehrt.

Irgendwann ist es Nacht, erneut eine Haltestelle, ich nutze die Möglichkeit für einen kleinen Gang auf das WC und stelle anschließend mit Entsetzen fest, dass die Königin der Matronen, eben zugestiegen, sich meinen Platz als Thron ausgewählt hat. Sie rümpft die Nase als ich wieder meinen Sitz einnehmen will, redet laut und lange etwas Unfreundliches in den Bus und erlaubt mir dann aber, mich neben sie zu setzen, was ich, mit Blick auf den halben Platz als freie Stelle, ebenso unfreundlich ablehne. Sie ignoriert mich und nimmt demonstrativ ihr Handy heraus, welches auch sogleich zu blinken und geräuschvoll zu fiepen anfängt. Für sie ist die Sache damit erledigt.

Für mich auch und zornig suche ich mir einen freien Sitz neben einem Mann. Überhaupt ist es undenkbar (mit Ausnahme dieser selbstbewussten Vettel), dass ein fremder Mann neben einer Alleinreisenden sitzen soll. Auch das Buspersonal regelt dies mit geübtem Auge, was mir zu einer schnellen Genugtuung verhilft. Eine andere zugestiegene Verschleierte, mit Mitteilungszwang, wird neben meine Sitzräuberin gesetzt, da sie ihren Sitzplatz für zwei Männer in dem nun überfüllten Transportmittel räumen muss. Sie werden auf dieser Fahrt keine Freundinnen werden, so beobachte ich amüsiert.
Der Bus ist nun überwiegend mit Frauen und Kindern besetzt, wobei ich die Kinder als angenehm leise empfinde und die Frauen als störend und geräuschvoll.

Damit soll es dann aber auch gut sein.

Was fiel mir noch auf? Der Müll und der Dreck.

Afrika ist ein vermüllter Kontinent und wenn man davon ausgeht, dass jede Veränderung zwei Generationen benötigt, bevor sie nachhaltig umgesetzt ist, wird mir Angst und Bang um diese Welt. Zumal das Umdenken noch gar nicht begonnen hat, wie ich hier erlebe.
Vor meinen Augen zieht eine lückenlos vermüllte Landschaft vorbei. Plastikflaschen, kaputte Autoreifen, jede Art von Müll liegt am Straßenrand und weiter in der Wüste. Tütenfetzen, Stoffreste und anderes hängt in den Bäumen und Kakteen wie kunterbunter Weihnachtsschmuck. Ich sehe Ölfässer und Windeln auf Stein und im Sand. Diese Landschaft ist eine menschengemachte Schande.

Bei dieser unglaublichen Umweltsauerei haben wir produzierenden Länder eine große Mitschuld. Denn natürlich haben unsere tollen Firmen ihre Produkte in Afrika seit Jahren beworben und mit Gewinn verkauft, ohne jedoch die Infrastruktur und das Bewusstsein zur Müllbeseitigung mitzuliefern. Wir haben den Menschen dort das Konsumieren beigebracht und mit dem Müll anschließend alleine gelassen.

Um es noch einmal zu verdeutlichen: Ich fahre über 2000 Kilometer durch Stein und Sandwüste und sehe keine hundert Meter, auf denen es nicht verräterisch blau, gelb, rot oder sonst wie unnatürlich leuchtet.

Mein Blick in den Bus, lässt keinen schnellen Hoffnungsschimmer zu. Schon nach wenigen Stunden sitze ich in einem fahrenden Mülleimer. Getränkeflaschen, Papiertücher, Keksverpackungen, alles was verbraucht wurde, landet auf dem Boden des Fahrzeuges. Einen Höhepunkt erlebe ich an einer Haltestelle in einer Wüstenstadt, als eine Mutter ihr Kind wickelt und anschließend die volle Windel aus dem Bus wirft. Sie tut das durch die offene Tür und bemüht sich nicht einmal, dafür das Fahrzeug zu verlassen. Erschreckender noch, diese Entsorgung wird von vielen im Bus wahrgenommen, aber kein Gesicht verrät, dass diese Handlung etwas besonderes wäre oder gar den Unmut eines Zusehenden.

Zwei Generationen? Afrika, Du hast keine Chance.

Irgendwann schlafe ich ein und pünktlich nach Plan, erreichen wir Ad-Dahkla. Hier erwartet mich eine Überraschung, nämlich nichts. Es ist morgens, kurz vor Sieben Uhr und der Busbahnhof bietet mir weder einen Kaffee, geschweige noch ein Frühstück an. Das Gebäude ist dunkel und ich warte missmutig auf den nächsten Bus, der mich um neun Uhr weiter an die Grenze bringen soll. Wieder ist er pünktlich, wieder ist das Personal freundlich und das Prozedere professionell und wieder beschlagen die Frauen wild gestikulierend und laut, den armen Menschen, der dafür verantwortlich ist, dass das Gepäck verstaut wird. Ich bleibe mit meinem Koffer im Hintergrund stehen und nutze eine kurze Lücke in dem Getue, um dem Armen eine Zehn-Dirham-Münze in die Hand zu drücken. Danach verfolge ich mit Freude, wie mein Koffer einen Vorrang erhält, vor dem Gepäck der buntverhüllten Furien.

Die Fahrt an die Grenze ist gemütlich und in fünf Stunden vollbracht. Ich mache mir keine Gedanken über den Grenzübertritt, denn bisher traf ich jene Menschen, die ich für meinen Menschenweg benötigt habe.

So ist es auch jetzt. Ich sitze im Bus neben einem sympathischen Soldaten, der mitten in der Wüste an seiner Kaserne überstürzt aussteigt und seine zwei 5 Liter Flaschen Wasser vergisst, die er an der Rast zuvor gekauft hat. Sie sind nun mein und erinnern mich daran, dass ich auch mit diesem Wasser die Zähne putzen sollte, um mich vor Keimen im mauretanischen Wasser zu schützen. An der gleichen Rast, an denen mein Wasserengel seine Flaschen gekauft hat, stolpere ich eher zufällig über Louis, einen jungen Franzosen, der seit einem Jahr in der Welt unterwegs ist und ich beschließe mit ihm, in Mauretanien mit dem „Silberzug“ in die Sahara zu fahren. Der dritte Engel an diesem Tag ist Karim, pechschwarz und aus dem Senegal, er hilft Louis und mir beim Grenzübertritt, Geld wechseln und setzt uns in den richtigen Kleinbus, der uns hier in diesen Ort bringen wird.

Mit diesem, fahren Louis, ich und zwei bunte Schleier, die natürlich mit dem Fahrer etwas zu streiten haben, durch das beeindruckende No Mans Land, wo unzählige Autowracks im Wüstensand ein surreales Freilichtmuseum stellen. Ihre Besitzer konnten die Ein- oder Ausfuhrgebühr nicht bezahlen, die Papiere waren nicht in Ordnung oder die Fahrzeuge waren nicht verkehrstüchtig, was mich jedoch verwundert, bei den hiesigen Ansprüchen an die Verkehrssicherheit.

Die Grenze nach Mauretanien ist schnell überwunden. Der Fahrer, den Karim für uns ausgesucht hat, erledigt für uns die Formalitäten. Ich gebe Fingerabdrücke, eine Kopie meines Passes und 60 Euro in der mauretanischen Währung ab und dann fahre ich über die Straßen, eines der ärmsten Länder der Welt. Ich sehe, die bekannten Sand und Steinwüsten, Bretterverschläge mit Menschen und Tieren und natürlich Müll. Ein jämmerlicher Esel kaut an einer Plastiktüte, während wir an ihm vorbeifahren.

Wir sind etwa eine Stunde unterwegs. Louis und ich plaudern angeregt und an einer Militärstation werden wir kontrolliert und müssen eine weitere Kopie unserer Pässe abgeben. Dann sind wir am Ziel.

Wo bin ich? Wenn ich ehrlich bin, ich habe keine Ahnung.

Ich sitze in einem „räudigen“ Hotel, für das ich umgerechnet 24 Euro diese Nacht bezahlt habe und welches über ein Internet verfügt, was man Keines nennen kann. Aber das Zimmer ist geräumig und die Menschen sind nett. Unter dem Hotel ist ein Restaurant, was ebenfalls diese Bezeichnung nicht verdient und wo mir der Kellner, der sogleich der Koch ist, einen Teller mit  Hühnchen, Reis und Salat serviert. Dies anstatt einer Speisekarte, als ich meine ich hätte Hunger. Sicherlich war der Salat mit heimischem Wasser gewaschen und leider kann ich keine möglichen Keime mit Alkohol abtöten. Den gibt es in Mauretanien offiziell nicht.

Gibt es über mein Gastland Marokko noch etwas zu sagen? Ich habe mich wohl und sicher gefühlt. Die Menschen sind nett und ich erlebte keine Situation, in der ich glaubte, übervorteilt worden zu sein. Selbst bei den Händlern an der Straße, zog man mir nur jene Kosten ab, die man auch bei den Einheimischen verlangt und meine Unwissenheit, wurde nicht einmal ausgenutzt. So denke ich. Das Land ist vermüllt aber schön und die Menschen haben eine Selbstachtung, die sie auszeichnet. Marokko als Reiseland, ich kann es empfehlen.

Es ist nun kurz nach Mitternacht, was erwartet mich Morgen? Werde ich den Salat überleben?
Wir sind live dabei.
Bis bald