Meine Flucht aus Mauretanien, so muss man es leider nennen, beginnt kurz vor sechs Uhr Ortszeit.

Nach einer Dusche mit kaltem Wasser, packe ich ohne Hast meinen Koffer und wecke den Nachtportier des Hotels, der vor der Rezeption auf dem Boden schläft, damit er mir die Tür zur Stadt aufschließt.

An der Reiseagentur, die mir das Ticket verkauft hat, sitzt ein alter Berber mit lederfaltigem Gesicht und betrachtet, mich den Ungläubigen abwertend. Mein Salam zur Begrüßung, bringt mir ein Kopfnicken ein, aber ich verzichte auf ein Gespräch.

Während wir warten, treffen andere Reisende ein und etwas später die zwei Kleinbusse, die uns von Nouadhibou in die Hauptstadt bringen sollen. Sie sehen ramponiert aus, aber ich habe schon schlimmere Vehikel bestiegen. Irgendwann ist das Gepäck auf den Dächern verstaut. Die Reisegesellschaft in meinem Kleinbus, besteht aus sechs Berbern, und sechs Schwarze, davon die Hälfte Frauen und Männer, wobei noch ein Kleinkind auf dem Schoß seiner Mutter mitfährt.

Zu meinem Schrecken, setzt man mich auf den schlechtesten Sitz des Busses, direkt zwischen Fahrer und Beifahrer, einen blau verhüllten Mann, etwa Mitte dreißig. Ich habe eine wunderbare Aussicht, aber keinen Platz für meine Beine, die deshalb auch schon nach wenigen Kilometern schmerzen.

Die Fahrt in das 480 Kilometer entfernte Nouakchott wird dennoch oft ein unterhaltsames Erlebnis, denn der Fahrer und der Berber sind sympathisch und es entstehen interessante, aber anstrengende Gespräche in dialektreicher, französischer Sprache.

Mauretanien ist bettelarm. Wir fahren durch Stein und Sandwüsten auf einer Asphaltstraße, die durch die Hitze und den Verkehr an vielen Stellen ramponiert ist. An uns vorbei, ziehen Siedlungen aus Stein, Bretterverschläge oder selbstgebastelte Zelte aus Stofffetzen. Der Müll des Lebens liegt auch hier an der Straße und neben den Ortschaften im Sand. Esel und Ziegen kauen darauf rum und schlucken ihn anschließend herunter. Er scheint wenigstens den Magen zu füllen.

Meine Knie und meine Beine können im Fond des Busses einen kleinen Geländegewinn verzeichnen, denn der Berber hat seine Füße auf den Sitz gezogen, aber sie Schmerzen irgendwann in jeder Stellung und die Fahrt wir mir lang. Ich versuche, dies als notwendige und harte Mission zu sehen, die Ölsardinen hinter mir, fahren ja auch nicht erste Klasse, aber es fällt mir schwer.

Wir passieren unzählige Polizei und Militärkontrollen und ich bin erneut froh, um meine Passkopien. Ich sehe Windkraftanlagen die kilometerlang neben der Straße am Entstehen sind, brate bei einer Rast in einer Wüstenstadt und pinkle, wie überall, seit ich in Mauretanien unterwegs bin, hinter Häuser in den Sand. Das Fragen nach einer Toilette habe ich aufgegeben, es brachte mir nur unverständliche Blicke ein. Selbst die größeren Geschäfte werden dem Wüstensand anvertraut.

Sieben Stunden später erreichen wir Nouakchott und fahren auf einer langen, von Bäumen gesäumten Allee, in die Hauptstadt ein. Ich beobachte einen Tankwagen beim Bewässern dieser Bäume, die in einem Abstand von maximal 10 Metern gepflanzt sind und denke an die Armut und Wasserknappheit, welche ich auf der Strecke hierher gesehen habe. Es möge sich jeder sein eigenes Urteil über diesen staatlichen Luxus bilden.

Es ist 15:00 Uhr und Nouakchott schreckt mich ab. Die gleiche Armut, derselbe Dreck, wie im Rest des Landes, lediglich die Stadt ist größer.

Wir erreichen das Ziel, ebenso ein Verschlag, an dem die Tickets verkauft werden und ich frage den unfreundlichen Jungen hinter dem vergitterten Schalter, ob es machbar sei, weiter an die Grenze zum Senegal, heute noch zu reisen. Es ist möglich, der Preis ok, doch für meinen Koffer will er das Doppelte, wie ich für den Weg hierher bezahlt habe. Ich streite mit ihm, erreiche aber keine Ermäßigung des Preises. Ich erkundige mich bei einem freundlichen Schwarzen, der mir vertrauenswürdig erscheint, ob ich gerade betrogen werde. Er zuckt stumm mit der Schulter.

Bei der Weiterfahrt, in die etwa 200 Kilometer entfernte Grenzstadt Rosso, erlebe ich die nächste Überraschung. Der Notsitz zwischen Fahrer und Beifahrer ist diesmal besetzt, da ein Vater seinen Sohn neben sich sitzen haben will. Dafür setzt man mich auf den hintersten Sitz des Kleinbusses, direkt an die rechte Scheibe, wo bis zur Dämmerung die Sonne unbarmherzig hereinscheint. Es ist die Sitzreihe für die jüngeren Fahrgäste und die einzige, die mit vier Personen, anstatt drei, belegt ist.

Ich schlucke meinen Ärger hinunter, will nur noch aus diesem elenden Land raus und dieser Bus bringt mich wenigstens bis zur Grenze. Die Fahrt ist der nächste Höllenritt an diesem langen Tag und ich bin froh, als wir irgendwann halten, damit die Fahrgäste neben der Straße beten können. Dies in einer vermüllten Ortschaft aus Bretterverschlägen.

Einer der Fahrgäste fragt mich nach dem Gebet, ob bei mir alles in Ordnung sei und ich lasse die Bombe platzen. Ich bejahe, füge aber hinzu, dass ich den Eindruck habe, dass die Mauretanier Rassisten sind. Natürlich ist die Bestürzung unter den Mitreisenden anschließend, ob dieses Vorwurfs groß, aber letztendlich kann ihn keiner plausibel entkräften. Die Sitzordnungen sprachen für sich.

Vielleicht habe ich überzogen und absichtlich provoziert, aber ich denke, in Deutschland, hätte man mehr Gastfreundschaft einem fremden Reisenden gegenüber gezeigt, egal welcher Hautfarbe. Aber natürlich kann ich auch hier nur für den Schwarzwald sprechen, der den Tourismus lebt. In Bottrop oder Cottbus mag es anders aussehen.

Jedenfalls habe ich damit die Aufmerksamkeit von Moctar Bieng auf mich gezogen, der mir nach dieser Fahrt und am folgenden Tag eine große Hilfe sein wird. Mein Engel in Rosso.

Wir fahren weiter. Die Fahrt von der Hauptstadt Mauretaniens an die Grenze zum Senegal, wird weitere fünf Stunden dauern und ich bin stehend KO, als ich in das Hotelbett falle, dass mir mein neuer Freund in Rosso besorgt hat.

Ich schreibe einige Mails, korrespondiere per WhatsApp und gönne mir drei eiskalte Cola vor der lauwarmen Dusche. Mir fällt auf, dass ich den ganzen Tag keine Nahrung zu mir genommen habe. Seltsamerweise fehlt mir jeglicher Hunger, gar die Lust etwas zu essen.
Ich schalte die Klimaanlage des Zimmers mal ein, dann wieder aus, spüre den ersten Stich eines Moskitos an meinem Bein und irgendwann schlafe ich ein.

Mauretanien ist als Transitland bekannt, nicht als Reiseland. Dies hat seine Gründe, glaubt mir.

Bis bald