“Ich glaube nicht an Gott, aber ich vermisse ihn”

So schreibt der britische Schriftsteller Julian Barnes in seinem intelligenten Spiegel-Essay und bezeichnet sich selbst als einen Agnostiker, der mit einer atheistischen Mutter aufgewachsen ist. Er erzählt von seiner Studienzeit in einer katholischen Schule in der Bretagne und von theologischen Streitgesprächen mit seinem Nachbarn. Anschaulich schildert er die menschliche Problematik(en) bei der “göttlichen Grundsatzdiskussion”.

Ein Auszug: “…Diese (Pascalsche) Wette klingt ganz einfach. Wenn man an Gott glaubt, und es stellt sich heraus, dass es Gott gibt, hat man gewonnen. Wenn man an Gott glaubt, und es stellt sich heraus, dass es keinen Gott gibt, hat man verloren, aber längst nicht so hoch, als wenn man nicht an Gott geglaubt hätte und nach dem Tod feststellen müsste, dass es ihn doch gibt…” 

Stimmt das denn so? Um dies zu beurteilen, müsste man Gott kennen und verstehen. Denn glaubt man Jesus, dann spielt es für Gott keine Rolle, wann ein Mensch zu ihm findet. Also hat man auch nicht vor Gott verloren, wenn man erst nach dem Tod feststellt, dass es Gott gibt. Andererseits hat man ein Leben verloren, denn ein ganzes Leben ohne Gottvertrauen ist nun mal sehr armselig – Glaubt mir.

Aber um es gleich und laut zu wiederholen: Auch ich kenne und verstehe Gott nicht. Macht mir das Sorgen? Manchmal ja, denn ich möchte mehr verstehen und ich bin auch auf einiges sauer. Doch letztendlich ist es nicht wichtig. Ich muss halt auch vertrauen.

Als Kind bin ich in einer katholischen  Familie aufgewachsen. Als Jugendlicher war ich Messdiener und im Religionsuntericht einer der Klassenbesten. Ich bete seidem, wie es uns die Väter gelehrt haben. Meine Väter. An Prozessionen habe ich stolz das Kreuz getragen und an Hochzeiten und Beerdigungen habe ich das Trinkgeld eingesteckt und heimlich mit den anderen Ministranten den Messwein getrunken. Für mich war damals Gott allgegenwärtig und real.

Meine erste Begegnung mit einem Atheisten war ebenfalls in jener Zeit, ich muss damals etwa 10 oder 12 Jahre alt gewesen sein. Der ungläubige (wie passend) Thomas Hierl war in jenen Tagen mein “Busenfreund” und wir verbrachten viel Zeit gemeinsam. Nur meine Aktivitäten in der Kirchengemeinde begleitete er nicht und so kam es irgendwann zwischen uns zur Frage: Glaubst Du an Gott? Wie überrascht und verwirrt war ich, denn mir wäre bis dato nicht in mein Kinderhirn gekommen, dass es Menschen gibt, die nicht an Gott glauben.  Glaubst Du an Gott? Ich weiß heute nicht mehr, wer zwischen uns die Frage gestellt hatte. Ich erinnere mich nur, wie mich die Frage an sich überraschte. Warum sollte man nicht an Gott glauben?

Thomas Hierl sagte mir, dass er nicht an einen Gott glaube. Wir standen beide auf der Möhlinbrücke in Hausen a.d.M., wie wir es oft taten und schauten auf das fließende Wasser hinab. Unser beider Fahrräder standen angelehnt an dem Geländer. Die Dämmerung brach herein und ein leichter Wind wehte über unsere Köpfe. Als Thomas Hierl mit seinem Fazit endete, blies der Wind eine Böe auf die Brücke und eines der Fahrräder fiel um. Es war das Fahrrad von Thomas (logischerweise) und somit war für mich die Sache erledigt. Gott hatte das Fahrrad von Thomas Hierl umgeschmissen, der war ja aber auch selbst schuld.

Heute – dreißig Jahre später – hat sich Gott immer wieder mal wieder und wieder in mein Leben eingemischt. Auch wenn er seitdem kaum noch Fahrräder umgeschmeisst. Oder es ist mir entgangen. Aber es ist mir natürlich immer noch unmöglich, mir ein Bild von Gott zu machen. Ob Höhen und Tiefen und durch alle Zweifel, die auch ich immer wieder hege. Mein Gottvertrauen verlor ich bisher selten und ich bitte darum, dass sich dies nie ändern möge. Macht mich diese Bitte nicht auch zu einem Agnostiker?

Herr Julian Barnes, Vielen Dank für Ihre Gedanken und den Fragen, die sie in Ihrem Essay aufwerfen. Bleiben Sie in der Frage der “Göttlichen Erfindung” am Ball und lassen Sie es mich wissen, wenn Sie mal wieder nachdenken.